Als hochrangiger DFB-Funktionär leitete Georg P. Blaschke (M.) in
den 20er-Jahren zahlreiche Nationalmannschaftsexpeditionen.
Sternstunde des Sports in Schleswig-Holstein: Holstein Kiel steht 1930
im Finale um die Deutsche Meisterschaft und unterliegt Hertha BSC
knapp mit 4:5. Trotzdem schaffte es Holstein in dieser Zeit noch auf die
Verpackung einer beliebten Schokolade (Foto unten).
FOTO: NAWE-ARCHIV
Unser Autor Erik Eggers hat zum Thema das Buch
"Fußball in der Weimarer Republik" geschrieben.
(www.eriksbuchregal. de)

Von der Front auf den Fußballplatz

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges gab es einen wahren Sportboom / Kieler Georg P. Blaschke wichtiger Strippenzieher für den DFB

von Erik Eggers in den Tageszeitungen des sh:z-Verlages am 12. Januar 2019

KIEL Von der Keimzelle der Revolution bis zur Zentrale des deutschen Fußballs waren es im November 1918 nur ein paar Meter. Als sich die Kieler Matrosen vor 100 Jahren auflehnten und den Sturz der Monarchie einleiteten, als die Arbeiter und Soldaten sich vor dem Kieler Gewerkschaftshaus in der Legienstraße versammelten, saß Georg P. Blaschke in seiner Wohnung in der Dänischen Straße 24. In diesen Momenten, in denen die Zukunft Deutschlands düster schien, versuchte er in der Kieler Altstadt wenigstens die Bürokratie des Deutschen Fußballbundes (DFB) aufrecht zu erhalten.

Blaschke führte seit 1916 die DFB-Geschäftsstelle. Der 1876 in Glatz/Schlesien geborene Blaschke, der 1900 den 1. Kieler Fußball-Verein mitbegründet hatte und sein erster Torschütze gewesen war, hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg einige DFB-Ämter inne. Wegen einer Krankheit felduntauglich eingestuft, hielt er an der Heimatfront die Stellung. Die Unruhen in Kiel, die sich rasch im ganzen Reich ausbreiteten, dürfte er mit Sorge betrachtet haben: Als „Stadtsekretär“, der der ersten Abteilung der städtischen Polizei Kiel vorstand, war er zuständig für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

Im November 1918 ahnte Blaschke nicht, dass das turbulente Ende des Weltkrieges einen Boom seines geliebten Fußballsports einleitete. „Der Friede brachte dem Fußballsport den gewaltigsten Aufstieg in seiner an großen Zahlen gewöhnten Entwicklung“, schrieb er regelrecht euphorisch ins DFB-Jahrbuch 1920. Tatsächlich hatten sich die Mitgliederzahlen im DFB in nur 14 Monaten fast verdreifacht. Zum Stichtag 1. Januar 1920 waren 467 962 Menschen im DFB organisiert, dazu über 50 000 Kinder und Jugendliche. Auch in Kiel, Neumünster, Flensburg, Altona und Lübeck verdoppelte sich die Zahl der Fußballer. 1931 überstieg die Mitgliederzahl des DFB erstmals die Millionengrenze.

 

Es gab 1918 also nicht nur eine politische Revolution. Es ereignete sich auch eine im Sport. Leichtathleten wie der Sprinter Hubert Houben, der im Dörfchen Drage bei Itzehoe geborene Mittelstreckler Otto Peltzer, der den berühmten Finnen Paavo Nurmi mehrfach schlug, stiegen zu Stars auf. Sie wurden genauso gefeiert wie im Krieg erfolgreiche Generäle. Der Husumer Otto Kemmerich wurde in Schleswig-Holstein als Volksheld verehrt, als er 1925 die 80 Kilometer lange Strecke von Fehmarn nach Warnemünde schwamm. „Ich träumte Tag und Nacht davon, es Peltzer und Houben gleichzutun“, berichtete der Publizist Sebastian Haffner später über den Aufstieg des Sports zu einem, wie er es nannte, „Massenwahn“.

Fußballspielen wurde befohlen 

Der Sport konnte zu einem Massenphänomen werden, nachdem der „Rat der Volksbeauftragten“ um Friedrich Ebert (SPD) und Hugo Haase (USPD) am 12. November 1918 mit der Einführung des Acht-Stunden-Tages einen sozialpolitischen Meilenstein gesetzt hatte. Damit war für viele Schichten erst ein neues Freizeitverhalten möglich. „Nicht die politischen Parteien, nicht die Kirche verschiedener Observanzen, nicht die Maschinengewehre der Weißen, Grünen, Roten, auch nicht die Schlagworte der Demagogen können nur annähernd mit der Zugkraft unseres Sportes rivalisieren“, jubelte Walther Bensemann, der 1920 das Fachmagazin Kicker gründete.

Der Fußball profitierte besonders davon. Denn viele Soldaten, die von der Westfront zurückströmten, kannten das Spiel schon aus dem Krieg. Viele hatten in der Etappe das erste Mal gekickt. „Neben der Jugend, da haben die treuen Männer, die einstmals draußen im Schützengraben die Pflicht erfüllten, den Gedanken des Spieles, das sie erst draußen kennen und schätzen gelernt, in alle Winkel des Vaterlandes getragen“, schrieb Blaschke 1920.

Das erklärt auch die massive sportpolitische Flankierung des Fußballs nach der Kapitulation im Herbst 1918. Nur wenige Wochen nach der „Deutschen Revolution“ beauftragten im Dezember 1918 Kriegsministerium sowie die Arbeiter- und Soldatenräte die Sportartikelindustrie, schleunigst massenhaft Fußbälle zu produzieren, um die gelangweilten Soldaten bei Laune zu halten. Und allen Garnisonen, in denen noch Regimenter lagen, wurde das Fußballspiel befohlen. Wenn man so will: Antreten zum Elfmeter!

Weil der Versailler Vertrag von 1920 die Wehrpflicht verbot, erhoben Militär und Politik den Sport, der bis 1914 als „englischer Import“ gegeißelt worden war, in der Folge zum Staatsziel. „Leibesübungen sind vaterländische Pflicht. Ein starkes Geschlecht heranzuziehen, das auf festen Schultern die Lasten des furchtbaren Krieges mit abtragen kann, ist Aufgabe der großen deutschen Fußballbewegung“, formulierte Blaschke 1920. „Soldatensport“ nannte diese Instrumentalisierung verächtlich der Satiriker Kurt Tucholsky.

Blaschke war als Lobbyist maßgeblich daran beteiligt, dass die Nationalversammlung in Weimar 1919 den Bau von Sportplätzen, Fahrpreisermäßigungen für Sportler, die Ausbildung von Sportlehrern und steuerliche Vorteile für Sportvereine in das politische Grundsatzprogramm aufnahm. Der Kieler Fußballfunktionär vertrat auch den DFB in der Reichsschulkonferenz und im Kuratorium der Deutschen Hochschule für Leibesübungen, die 1920 als Sportuniversität der Welt in Berlin gegründet wurde.

Doch sein wichtigstes Ehrenamt blieb die Leitung der DFB-Geschäftsstelle in Kiel. 1923 wurde das Zentrum der deutschen Fußball-Bürokratie in das Haus der Landwirte am Sophienblatt verlegt, weil der Umfang der Arbeit in der Wohnung der Blaschkes nicht mehr zu bewältigen war. Da jährlich insgesamt 19 000 Posteingänge zu bearbeiten waren, stellte der DFB drei Bürokräfte ein.

Holstein Kiel spielte um Deutsche Meisterschaft 

Als hochrangiger DFB-Funktionär leitete Blaschke viele Nationalmannschafts-Expeditionen, darunter auch sehr heikle. Etwa das erste Länderspiel nach dem Krieg am 27. Juni 1920 in Zürich, in dem es nicht um Tore oder Punkte ging, sondern um hohe Politik. Blaschke bat die Reichsregierung hierfür um einen Zuschuss – mit dem Argument, das Spiel werde den Boykott der „Siegerstaaten“ England und Frankreich gegen den Kriegsverlierer Deutschland aufbrechen. Vor Anpfiff verordnete Blaschke den Spielern um DFB-Kapitän Adolf Jäger daher eine „vornehme Spielweise“. Die DFB-Auswahl verlor mit 1:4 und leistete sich nur zwei Fouls – wohl ein Fairness-Rekord für die Ewigkeit.

Die Zugkraft des Fußballs war so groß, dass bald auch Zigaretten-Konzerne zu Werbezwecken den Packungen Sammelbilder mit Fußballern beilegten – und natürlich forderten gerade die Stars auch ihren Anteil an den Ticketerlösen. Blaschke geißelte das Profitum, das aufgrund der Zuschauermassen allmählich Einzug hielt, „aus ethischen Gründen“: Fußball sei nicht bloße Unterhaltung, sondern Mittel zur Erziehung. Als DFB-Funktionär musste er allerdings den Amateurismus hochhalten, weil der Fußball sonst die Ticketeinnahmen hätte versteuern müssen.

Als 2. Vorsitzender der KSV Holstein Kiel von 1900 sah er die Sache liberaler. Als sein Verein 1924 mit dem Ungarn Béla Révécz einen professionellen Trainer einstellte, der den nicht ehrenamtlich kickenden Nationalspieler Gabór Obitz mit an die Förde nahm, wurde Blaschke in der Sportpresse als Heuchler kritisiert.

Mit den Ungarn bog Holstein wieder auf die Erfolgsspur ein – 1930 feierte die KSV, die mit Franz „Seppl“ Esser, Walter Krause, Karl Schulz, Oskar Ritter, Kurt Voß und Oskar Werner in den 1920er Jahren zahlreiche Nationalspieler stellte, als Deutscher Vizemeister (4:5 im Finale gegen Hertha BSC) einen großen Erfolg. Hinter dem Leuchtturm Holstein kämpften der SC Olympia Neumünster, der 1926 mit dem Norweger Herbert Lunde ebenfalls einen Nationalspieler verpflichtete, Nordmark Flensburg, VfL Heide 05, der Gaardener BV, der Rendsburger BV, Rasensport Schleswig, Union-Teutonia Kiel, und Hohenzollern-Hertha (heute VfB Kiel) um die Plätze.

Blaschke, der sich im Herbst 1924 in den Ruhestand versetzen und in den Kieler Stadtrat wählen ließ, prägte den deutschen Fußball bis 1928, als er die Olympia-Expedition nach Amsterdam organisierte, wie kein anderer deutscher Fußballfunktionär. Danach trat er, schon von einer Krankheit gezeichnet, als DFB-Geschäftsführer zurück – erst danach wurde die Geschäftsstelle von Kiel in die Hauptstadt Berlin verlegt.

Als Blaschke am 4. Mai 1929 im Alter von 53 Jahren starb, würdigten ihn Zeitungen in ganz Deutschland. In Kiel erinnert man sich des Mannes, der den Aufschwung des deutschen Fußballs zu einem Volkssport organisierte, bis heute: Im Stadtteil Gaarden ist ein Fußballplatz nach ihm benannt.

 

aus dem Deutschlandfunk Kultur:





zuletzt aktualisiert am: Samstag, 12.01.2019 15:12

seit 25. Mai 2018
Besucherz?hler Gif