Bei keinem Fußballspiel fehlen sie - die "Alten". Und es gibt keine treueren Anhänger als sie. Sie spielten schon vor 60 Jahren Fußball, in einer Zeit, in der Mut dazu gehörte, sich zu dem Kreis der Fußballspieler zu bekennen. Die Chefs waren dagegen, die Lehrer auch. Das Spiel wurde auch in Husum in weiten Kreisen als undeutsch abgelehnt, kam es doch aus England. Und dann die halbnackten Menschen - wie unmoralisch!
Aber sie war schön, diese Zeit. Ich war noch ein kleiner Schuljunge, als ich zum ersten Mal einem Fußballspiel zusah. Wie konnte es anders sein, wir waren vom ersten Augenblick an diesem neuen Spiel verfallen. Der Schlagballschläger wurde in die Ecke gestellt. Und dann wurde ein Fußball gekauft? O, nein! Die Groschen waren früher knapp und wurden mehr als einmal umgedreht. Wir waren auch bedürfnisloser als die heutige Jugend. Wir legten unsere Pfennige zusammen und kauften einen knallroten oder giftgrünen Gasball bei Topf. Er kostete 50 Pfennige. Dann wurde in jeder freien Minute trainiert, und das Jonglieren mit diesem kleinen Ball gab uns ein unübertreffliche Ballgefühl, das uns zustatten kam, als wir im Verein mit einem richtigen Fußball spielen durften. Auf dem Nachhauseweg von der Schule dribbelten wir mit einem runden Stein. Wir wußten uns schon zu helfen, wenn einmal der Ball fehlte.
Wenn wir auch viele Gegner in Husum hatten, einer steifte uns den Rücken: Das war Rektor Möller, der ein leidenschaftlicher Anhänger des Fußballsports war. Wie oft mußten wir in der Literaturstunde gegen die drei oberen Klassen antreten. Verloren wir, hatten wir es in den nächsten Stunden auszubaden.
Unser Spielplatz war die Freiheit. Er war zu unserer Zeit noch nicht ganz kahl, zeigte vielmehr an einigen Stellen noch eine üppige Grasnarbe. Hatte es längere Zeit nicht geregnet, trieben oft Staubwolken über den Platz. Bei Regenfällen mußte die gesamte Mannschaft mit Besen antreten, um die Pfützen auseinanderzufegen. Wer keinen Besen hatte, mußte die Tore aufstellen, die nach jedem Spiel wieder abgebaut wurden. Einen Platzwart gab es nicht. Er wurde durch die Spieler ersetzt, die eine Stunde vor dem Spiel sich im Umkleideraum einfanden, denn es mußte auch noch gekreidet und der Platz durch Taue abgesperrt werden. Nach dem Spielende dasselbe in umgekehrter Reihenfolge. Keiner drückte sich.
In meiner Kindheit trugen die Spieler noch seidene Sportmützen. Die Brust der Spielführer schmückte ein großes C I respektive C II. Das bedeutete Captain I oder II, denn man bediente sich im Sport noch der englischen Ausdrücke. Es wurde auch nicht "Tor" geschrien, sondern "Goal". Die Verteidiger und Läufer hießen "Backs" respektive "Halfbacks". Aber diese Ausdrücke schlissen bald aus.
Es ist müßig, darüber zu reden, ob früher schlechter oder besser gespielt wurde. Eines hatten die Spieler der früheren Jahre den jetzigen voraus: Es wurde mit mehr Einsatz und Ehrgeiz gespielt, auch hatten sie, glaube ich, mehr Freude am Spiel. Nach dem Spiel saß man selbstverständlich noch lange Zeit mit dem Gegner zusammen, der nach dem Spiel der beste Sportkamerad war. Noch jetzt, nach 30 Jahren trifft man in Kiel, Flensburg, Heide oder Schleswig auf die alten Veteranen des Fußballsports. Sie sind untereinander Freunde geblieben.
Omnibusse kannte man in den ersten Jahren nicht. Mußte in Flensburg gespielt werden, hieß es für den Spielführer um 3.30 Uhr morgens aufstehen, denn ich wußte, daß ich drei unsichere Kantonisten in der Mannschaft hatte, die sich ungern vom warmen Bett trennten. Der Zug wartete keine Minute. Also hieß es, die Kameraden durch lautes Klopfen an der Fensterscheibe aus dem Bett zu trommeln.
Um 5:13 Uhr fuhr der Zug ab. Zwei Stunden Aufenthalt in Jübek. Gegen Mittag trudelten wir in Flensburg ein. Mittagessen? Fehlanzeige. Die von unserer Mutter oder Frau liebevoll gestrichenen Brote wurden verdrückt, dazu eine Fleischbrühe. Wir fielen deswegen beim Spiel nicht um, im Gegenteil, uns drückte kein überfüllter Magen. Wir wurden also nicht verwöhnt, bezahlten unsere Fahrt auch selber, bezahlten auch die Fahrt für den Kameraden, der wegen Arbeitslosigkeit kein Geld hatte.
Wir sind an Jahren alt geworden, fühlen uns aber wieder jung, wenn wir auf dem Fußballplatz sind, sei es die ältere Generation mit Max Struve, Theodor "Theo" Hansen, Volquart Pauls oder unserem verstorbenen Ehrenvorsitzenden Heinrich Matthiesen, der uns einst durch seine Dribblings begeisterte. Nur wir damaligen Jungen haben diese Vorkämpfer auf dem grünen Rasen kennen gelernt, wir, die wir jetzt auch zu der älteren Generation gehören. Adolf "Ogge" Classen, Rudolf "Rudi" Schubert, Christoph Jensen, Harry Trulsen, Arthur Bothmann, Friedrich "Fiete" Petersen, Hans-Dietrich "Hanne-Diede" Blunck oder der Unterzeichnende. Viele sind schon von uns gegangen. Alle aber haben sie ihrem geliebten Fußballsport die Treue gehalten. |